Hartmut V.: Mein Weg aus der Sucht

Ich habe gelernt, dass man Probleme anpacken muss

Seit Anfang 2018 gehe ich mit Lisa Uecker und Ole Berger in Schulklassen und erzähle von meiner Sucht. Die beiden sind Sozialpädagogen und machen in Kaltenkirchen für die ATS Schulsozialarbeit. Sie sprechen mit Schülern über Gefühle, über das soziale Miteinander, über Streiten, Enttäuschungen und Mobbing. Und darüber, dass es nichts bringt, schlechte Gefühle mit Alkohol oder Drogen zu betäuben. Denn wenn man nicht aufpasst, kann daraus eine Sucht werden, von der man nicht wieder wegkommt.

Ich erzähle den Schülern von meinem Leben mit und ohne Alkohol. Die Kinder sind sehr aufmerksam, wenn ich rede, aber am meisten beeindrucken mich immer wieder die anschließenden Fragen, die sie stellen. Diese Fragen setzen bei mir viele Gedanken und Erinnerungen in Bewegung. Ihre Nachfragen zeigen mir, dass es genau richtig für mich war, vom Alkohol wegzukommen. Immerhin bin ich jetzt seit 28 Jahren trocken.

Getrunken habe ich eigentlich schon seit meiner Lehre zum Koch, das war damals auch so üblich, wegen der Hitze in der Küche gab es für jeden drei halbe Liter Bier am Tag. In der Bundeswehrzeit wurde auch dauernd getrunken.

Konflikte habe ich immer mit Alkohol betäubt, Konflikte in der Familie, Konflikte, weil ich meine Homosexualität nicht offen leben konnte, denn die war ja bis 1975 noch unter Strafe gestellt. Ich habe mich abends in Kneipen verdrückt, um der Enge bei meinen Eltern und dem vielen Streit mit ihnen zu entkommen. In der Kneipe zu trinken ist aber ziemlich teuer und so war mein Leben irgendwann durch enorme Schuldenberge belastet. Zum Glück habe ich nie bei der Arbeit gefehlt, auch wenn mir das Arbeiten mit Kater nicht immer leichtfiel. Getrunken habe ich nur abends, nie tagsüber. 

Zum Entzug habe ich mich entschieden, weil ich den Niedergang eines Kollegen miterlebt habe. 1992 ging ich für neun Tage in die Entgiftung nach Rickling und habe dort ohne medikamentöse Unterstützung entzogen. Ich hatte keine Entzugssymptome, war aber sehr wohl psychisch vom Alkohol abhängig. Ich musste erst lernen, meine Probleme anzupacken und nicht mehr mit Alkohol zu betäuben. Deshalb habe ich im Anschluss eine Ambulante Medizinische Reha bei der ATS in Kaltenkirchen gemacht. Ich wollte gern ambulant in Behandlung und nicht stationär für ein halbes Jahr weg, denn ich wollte meinen Arbeitsplatz unbedingt behalten. Bei meinem Arbeitgeber habe ich meine Alkoholerkrankung auch gleich offengelegt.

In der Therapie habe ich gelernt, Probleme anzugehen. Dort habe ich übrigens zum ersten Mal offen bekannt, dass ich schwul bin. Das war für mich auch ein Schritt, mehr zu mir selbst zu stehen. Jetzt bin ich seit 27 Jahren trocken und stolz darauf!

Wenn man ohne Suchtstoff leben will, muss der Impuls von innen kommen. Es muss Klick machen! Wenn man nicht selbst fest entschlossen ist, dann wird man es nicht schaffen. Wenn man von außen dazu gedrängt wird, klappt das nicht auf Dauer. Der eigene Wille ist entscheidend. Das war auch so, als ich aufgehört habe zu rauchen. Von einem Tag auf den anderen. Schluss jetzt – und dann war auch Schluss.

Nach der Therapie bin ich übrigens mit meinem Partner zusammengezogen. Wir hatten uns kurz vor meiner Behandlung kennengelernt. Heute sind wir seit über 27 Jahren zusammen und glücklich miteinander.

Ich habe gelernt, dass man Probleme anpacken muss. Es bringt nichts, vor ihnen davon zu laufen, sie werden dann noch größer und man bekommt womöglich noch ein weiteres Problem dazu, nämlich die Sucht. Alkohol trinke ich gar nicht, auch kein alkoholfreies Bier. Ich will keinen Rückfall riskieren.