Gedenken an neun Frauen, die auch nach einem Vierteljahrhundert nicht vergessen sind

(22.12.2021) Mit einer Andacht auf dem Ricklinger Friedhof gedachten Pastor Andreas Kalkowski und mehrere Mitarbeiter*innen des Landesvereins sowie Vertretern der örtlichen Kommunalpolitik und Feuerwehr an das Brandunglück, das sich an diesem Tag vor 25 Jahren ereignete. Das Haus 6 auf dem Lindenhof des Psychiatrischen Krankenhauses Rickling wurde vollkommen zerstört, neun Patientinnen kamen in den Flammen ums Leben. Noch heute sind die Erinnerungen wach und das Geschehene ist kaum fassbar.

Der 4. Advent 1996 sollte für viele Menschen in Rickling und der Region zum schlimmsten Tag ihres Lebens werden. Spätnachmittags, um 16:37 Uhr des 22. Dezember 1996, ging ein Notruf bei Polizei und Feuerwehr ein: Ein Brand war im Haus 6 auf dem Lindenhof des Psychiatrischen Krankenhauses ausgebrochen: „Die Flammen schlugen immer höher, bis in den Himmel und darüber hinaus“, beschreibt die damalige Krankenschwester Martina Westphal, die heute der Gesamtmitarbeitervertretung vorsitzt, den entsetzlichen Anblick, der sich ihr und ihren Kolleg*innen und Patient*innen auf den benachbarten Stationen bot.

200 Feuerwehrleute konnten den Großbrand nicht stoppen

„Das Feuer breitete sich in rasender Schnelligkeit aus“, erinnert der damalige Feuerwehrmann Siegfried Hock von der Ricklinger Feuerwehr, die als erste zur Stelle war. Alle neun Amtswehren und die Wahlstedter Wehr mit insgesamt 200 Einsatzkräften, die bald dazukamen, konnten das Feuer nicht stoppen, das 50 Meter lange Holzhaus gab den Flammen genug Nahrung.

Die drei diensthabenden Pflegekräfte ebenso wie weitere Kolleg*innen und Feuerwehrleute versuchten so viele Menschen wie möglich aus den Flammen zu holen, zum Teil unter Einsatz ihres Lebens. 19 Patientinnen der offenen Frauenstation – viele von ihnen im Rollstuhl – konnten so gerettet werden. Eine Schwerverletzte, die geborgen werden konnte, verstarb noch im Rettungswagen. Acht Frauen blieben zunächst vermisst, Rettungshunde einer Staffel des Deutschen Roten Kreuzes spürten ihre Leichen am nächsten Tag unter den verkohlten Trümmern auf.

Gedenken an die Menschen und ihre Lebensgeschichten

Pastor Andreas Kalkowski, Theologischer Vorstand des Landesvereins, verlas im Rahmen einer Andacht auf dem Ricklinger Dorffriedhof die Namen der neun Opfer: Hildgard B., Charlotte B., Gerda B., Magda D., Edith H., Ilse M., Erna M., Karin S. und Helga T.

Kalkowski erzählte auch Anekdoten aus dem Leben der Verstorbenen und ließ die Erinnerung an sie aufleben - häufig war während seiner Rede zustimmendes Nicken von den anwesenden Gästen zu vernehmen, die viele der Patient*innen persönlich kannten. Die Kantorin des Landesvereins, Marie Sophie Goltz, sang zu ihrem stillen Gedenken „Die Nacht ist vorgedrungen“, ein Adventlied des Komponisten Jochen Klepper, der von den Nationalsozialisten verfolgt wurde.

Die Brandursache konnte nicht letztgültig festgestellt werden. Sicher war nur, stellte der damalige Direktor des Landesvereins, Pastor Leberecht le Coutre, nach der Untersuchung durch die Kriminalpolizei fest, dass kein technischer Mangel die Katastrophe ausgelöst hatte. Wahrscheinlich war eher ein offenes Feuer im Tagesraum. Kerzen gab es aber bereits damals im gesamten Landesverein nicht mehr, betonte le Coutre im Interview mit der Tagesschau.

Holzbaracken wurden nicht mehr als Stationen genutzt

Schon wenige Tage später beschloss die Leitung die schnellstmögliche Umnutzung der Holzbaracken. Ohnehin wurden damals nur noch drei der 1941 schnell errichten Notbehelfsunterkünfte als Stationen genutzt. Schon ein Jahr später dienten die verbliebenen Baracken nur noch der Tagesnutzung als Räume für therapeutische Zwecke.

Die Brandkatastrophe hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst, zahlreiche überregionale Print- und Fernsehmedien berichteten. Einen eigenen Eindruck von dem Unglück verschaffte sich nicht nur der damalige Vorstand des Landesvereins, Bischof Ludwig Kohlwage, auch Landespolitiker*innen wie Ministerpräsidentin Heide Simonis, Sozialministerin Heide Moser und Innenminister Ekkehard Wienholtz kamen an den Unglücksort. An dem Gedenkgottesdienst am folgenden 31. Dezember nahmen über 400 Menschen teil.

Pastor Andreas Kalkowski, Theologischer Vorstand des Landesvereins, mahnte zum Abschluss der Andacht am Gedenkstein an die Verantwortung, in die dieses kaum fassbare Unglück den Landesverein auch noch 25 Jahre später stellt. „Es gibt wohl keine Einrichtung, die sorgsamer mit Feuer umgeht, als der Landesverein“, betonte er – gab aber mit Blick auf pandemische Gefahren zu bedenken: „Ganz ausschließen kann man bei aller Vorsorge nicht jedes Unglück.“