Vorbereitungen auf die Bundestagswahl in der Teilhabe: "Klar, geh ich wählen!"
(20.9.2021) In den Einrichtungen der Teilhabe unterstützen die Mitarbeitenden die Bewohner*innen und Klient*innen darin, ihr Wahlrecht bei der Bundestagswahl auszuüben.
Die Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus, Ausfallstraßen sind von großen und haushohen Wahlplakaten gesäumt und immer noch nicht jede*r von uns weiß, wen man am Sonntag, den 26. September, denn wählen soll. Wir haben uns in unseren Wohnstätten und im Ambulanten Wohnen des Bereichs Teilhabe umgehört und im Eiderheim, im Erlenhof, in den Segeberger Wohn- und Werkstätten sowie im Bereich Wohnen Bewohner*innen und Kolleg*innen gefragt, wie die Stimmung vor Ort ist.
„Demokratische Wahlen kennen unsere Bewohnerinnen und Bewohner gut“, sagt Björn Gotthardt von der Wohnstätte Wahlstedt in der Kronsheider Straße, „denn schließlich wählen sie alle zwei Jahre den Bewohnerbeirat.“ Diese Wahl unterliege wie eine „richtige Wahl“ auch genauen Regelungen. Da gibt es einen Wahlvorstand und es muss eine Wahlurne für die Stimmabgabe in einem separaten Raum aufgestellt werden. „Und vor der Wahl stellen sich die potentiellen Kandidaten ihren Mitbewohnern vor“, ergänzt Björn Gotthardt.
Wahlbeteiligung etwa 30 Prozent
„Klar, geh ich wählen“, weiß Nico K., Bewohner vom Erlenhof, „ich habe mich auch schon entschieden, wen ich wähle, aber vielleicht entscheide ich mich noch mal um.“ Nun hat er noch eine knappe Woche, Informationen zu sammeln und Sonntag dann sein Kreuz an der für ihn richtigen Stelle zu setzen. „Überall stehen Wahlplakate, da finde ich es schon spannend, was dabei rauskommt“, fügt er hinzu. Nico ist nach eigener Aussage einer der wenigen Bewohner*innen der Wohnstätte im Erlenhof, die wählen gehen. Eine Beobachtung, die auch viele Einrichtungsleitungen teilen: Die Wahlbeteiligung liegt in allen Häusern bei etwa 30 Prozent.
„Die Stimmung bei den Bewohnerinnen und Bewohnern hinsichtlich der bevorstehenden Wahlen ist ganz unterschiedlich und hängt zumeist von den kognitiven Fähigkeiten des einzelnen ab“, erläutert Björn Gotthardt. Bei stark eingeschränkten Menschen unterstützen deshalb die gesetzlichen Betreuer*innen, meist Eltern oder andere Familienangehörige, die Wahl per Briefwahl. Er und sein Team beobachten, dass gerade jüngere Bewohner*innen eher wenig an Politik interessiert sind und das Interesse erst geweckt werden muss. In der Wohnstätte in der Kronsheider Straße werde deshalb wie etwa auch im Bereich Wohnen in Falkenhorst, Rickling, bei den wöchentlichen Gruppengesprächen das Thema Wahl immer wieder einmal gemeinsam erörtert: Was wählen wir eigentlich? Wie geht Wahl? Bringt meine Stimme eigentlich was?
Leichte Sprache und Wahlomat
Hilfreich sind dabei Informationsschriften in Leichter Sprache, die die Bundesregierung herausgebracht hat und die in allen Einrichtungen nicht nur ausliegen, sondern aktiv genutzt werden.
Wie etwa im Ambulanten Wohnen der Segeberger Wohn- und Werkstätten, das im TriO in der Kronsheider Straße in Wahlstedt seinen Sitz hat. „Wir erleben, dass das Interesse an dieser Wahl höher ist als an vorherigen. Ich denke, das liegt auch an den sehr guten Unterlagen in Leichter Sprache“, bestätigt Leiterin Lore Jungclaus. „So wird gesellschaftliche Teilhabe für unsere Klienten leichter möglich.“ Wenn diese es wünschen, unterstützen die Mitarber*innen sie: Sie lesen gemeinsam die Informationen aus Berlin, stehen für Fragen zur Seite und nutzen auch gemeinsam digitale Informationsmöglichkeiten wie etwa den Wahlomaten. „Einige Fragen sind für unsere Klienten aber zu schwierig formuliert, deshalb lassen wir sie aus und beantworten sie indifferent.“ Meist spiegele das Ergebnis des Wahlomaten die auch vorher von den Klient*innen geäußerte politische Haltung wider, „größere Überraschungen habe ich bislang nicht erlebt“, ergänzt Lore Jungclaus.
Am Sonntag geht es wählen
Am Wahltag selbst werden sich viele der mobilen Bewohner*innen der verschiedenen Einrichtungen selbstständig auf den Weg ins Wahlbüro machen – zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Wer Unterstützung benötigt, bekommt sie: „Mit denen, die unsicher sind, gehen wir den Weg vorher ab“, sagt Anja Beuck, Erzieherin in Wohngruppe Nortorf 2 in der Itzehoer Straße, „aber die einige gehen seit Jahren alleine zur Wahl.“
In den Wohnstätten von Eiderheim und Erlenhof organisieren die Wohngruppen selbstständig einen Fahrdienst zum Wahlbüro. „Weil das mit der engen Personaldecke derzeit durchaus schwierig werden kann, haben wir den Bewohnerinnen und Bewohnern empfohlen, Unterlagen zur Briefwahl anzufordern“, erklärt etwa Carsten Gallinat, Leiter der Wohnstätte im Eiderheim. Andere Einrichtungsleiter empfehlen Briefwahl immer dann, wenn die Klient*innen unsicher sind, wie das eigentliche Wählen im Wahlbüro zu bewerkstelligen ist. Wo muss ich hin? Wem gebe ich welchen Zettel? Was ist eine Wahlkabine? „Das sind Fragen, die unsere Klienten beschäftigen und immer noch verunsichern“, bestätigt auch Ingrid Kreft-Schmeißner vom Ambulanten Wohnen im Erlenhof, „da ist die Briefwahl einfacher.“
Beim Ausfüllen helfen die Kolleg*innen mit, wenn nötig. Allen Mitarbeitenden, die uns zum Thema Wahl Auskunft gegeben haben, ist es dabei ganz wichtig zu unterstreichen, dass das ohne Beeinflussung der Bewohner*innen passiere.
Wählen ist aktive Teilhabe
Udo K. wohnt auf dem Falkenhorst in Rickling in Wohngruppe 4. Udo freut sich auf die Wahl und ist schon ein bisschen aufgeregt. „Ich geh auch wählen“, sagt er, „aber ich darf dir nicht sagen wen.“ Das hat er in den Gruppengesprächen gelernt: Es gibt ein Wahlgeheimnis. Udo wird wie viele der Bewohner*innen und Klient*innen der Teilhabe sein persönliches Recht auf Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen durch die Wahl dokumentieren. Nicht nur seine Stimme zählt, sondern zusätzlich schenkt ihm seine aktive Beteiligung am Wählen die Gewissheit, selbstwirksam zu sein. „Wählen ist wichtig“, sagt Udo.