Haus Ruhleben: „Hier bin ich wie in einem Kokon in Sicherheit“

Im Haus Ruhleben am Plöner See, einer Einrichtung zur Orientierung und Rehabilitation für Menschen mit Suchterkrankungen, hat Corinna Morgenthum neue Fähigkeiten entdeckt und begonnen, ihr Leben neu auszurichten. Geholfen haben ihr unter anderem die ruhige Atmosphäre des Hauses, regelmäßige therapeutische Gespräche und Flow-Erlebnisse in der Werktherapie.

„Alkohol gehörte schon immer mit dazu: in meiner Herkunftsfamilie, später in meiner Familie und auch auf der Arbeit im Hotel. An der Rezeption ist man das Ohr nach drinnen und nach draußen, man ist die Schnittstelle zum Gast und muss immer dienstbar sein, antizipieren, was als Nächstes gewünscht wird, immer ein freundliches und zugewandtes Gesicht zeigen. Hinzu kommt der unregelmäßige Schichtdienst – da leiden Hobbys und Freundschaften. Abends habe ich deshalb meine Entspannung im Alkohol gesucht und gefunden. Auch mit Kollegen zusammen, etwa bei unseren After-Work-Treffen jeden Freitag. Jetzt im Rückblick habe ich erkannt, welch große gesellschaftliche und sozial bindende Kraft Alkohol besitzt: sich bei dem gemeinsamen Trinken auszuschließen, wäre unmöglich gewesen.

Stress und Alkohol

Nach meiner Trennung im Jahr 2000 habe ich lange allein gelebt, später bin ich zu meiner Mutter gezogen, um sie zu pflegen. Meine Mutter war schon immer Alkoholikerin gewesen, so auf die feine Art, es gab Wein zum Essen und abends Cognac – das war fatal für mich, denn der Alkohol zeigte mir irgendwann sein böses Gesicht: Ich bekam drei Schlaganfälle, war halbseitig gelähmt und verlor meine Sprache. Nachdem ich mich ins Leben zurückgekämpft hatte, trank ich weiter.

Das Haus Ruhleben – ein Ort, um zur Ruhe zu kommen

Als meine Mutter im Oktober 2020 starb und ich ihre Wohnung verlassen musste, erkannte ich, dass es nun so nicht mehr weitergehen konnte. Ich ging zur Entgiftung nach Heiligenhafen; dort wurde der Kontakt zum Haus Ruhleben hergestellt. Bei meinem ersten Besuch erkannte ich sofort, dass dies ein Ort sein würde, an dem ich zur Ruhe kommen kann. Bei meinem Einzug brachte ich drei Wannen unsortierter Post mit. Die arme Frau Montero Suero, meine Sozialpädagogin und Bezugsbetreuerin, hat sich dann da durchgefressen (lacht); ich selbst hatte schon Panikattacken von all dem bekommen, was ich nicht mehr bearbeitet hatte. Gemeinsam haben wir das angepackt und auch geschafft. Dafür bin ich sehr dankbar.

Selbsterkennen in Therapie und Kreativität

Hier im Haus Ruhleben musste ich lernen, mir Zeit zu lassen. Ich musste erkennen, wie lange es dauert, sich neu zu konditionieren und die Seele gesundwerden zu lassen. Was mir dabei auch hilft ist meine Spiritualität: Ich fühle mich von höheren Kräften geschützt und in eine Gemeinschaft eingebunden, obwohl ich keine Kirchgängerin bin. In den therapeutischen Gesprächen werde ich sehr gefordert, meinen Weg zu entwickeln und dann auch zu gehen. Das kostet viel Kraft, denn es ist oft nicht einfach, sich selbst auszuhalten.

Beim Arbeiten mit Holz und Speckstein in der Ergotherapie oder beim Malen in der Gestalttherapie habe ich meine kreativen Kräfte kennengelernt. Es ist wunderbar, wenn etwas Ästhetisches in meinen Händen entsteht. Oft vergesse ich dabei die Zeit und lasse meine Gedanken einfach fließen – dadurch fließt Lebenskraft in mich zurück und das dringt in alle Bereiche meines Lebens ein! Und die Impulse gehen weiter! Es ist, als würden sich Tore von Ideen für mich öffnen – das ist einfach total inspirierend.

Gestaltung des eigenen Lebensweges

Im Jahr 2021 haben sich für mich auch familiär wichtige Dinge weiterentwickelt. Mein Sohn leidet an einer paranoiden Schizophrenie und ist jetzt, nach vielen Jahren mit großen Problemen, in einer guten Einrichtung beheimatet. Ich hoffe, dass er jetzt ein gutes Leben führen kann und sich seine Beziehung zum Vater, der auch sehr gelitten hat, wieder verbessert. Mir schenkt diese Entwicklung die nötige Ruhe und Kraft, so dass ich mich um mich selbst kümmern kann. Etwa darum, mich für meinen Auszug zu stabilisieren, denn ich möchte gern im Laufe des Jahres 2022 eine eigene Wohnung beziehen.

Ich habe schon so viel geschafft, seitdem ich ins Haus Ruhleben gekommen bin – die ‚kleine Corinna‘ kommt zwar immer noch mal wieder zum Vorschein, aber die ‚große Corinna‘ wird immer stärker. Dazu vielleicht noch eine kleine Geschichte: Vor einiger Zeit zog eine neue Bewohnerin ins Haus. Als sie das erste Mal an der Frauengruppe teilnahm und wir uns vorstellten, sagte ich in die Runde: ‚Ich bin hier angekommen als Krümel. Jetzt bin ich schon ein kleines Brötchen.‘ Und ich denke, ich werde noch ein richtiges Vollkornbrot werden. Das wünsche ich mir.“