Leiter des Hygienestabs: Menschen schützen und Versorgungsauftrag erfüllen

(06.11.2020) Dr. Artur Bahr, Leiter des Hygienestabs des Landesvereins, blickt im Interview zurück auf die vergangenen Monate und berichtet, wie sich der Landesverein frühzeitig auf die Herausforderungen durch das neuartige Coronavirus eingestellt hat.

Wann hat der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein erstmals auf die Corona-Pandemie reagiert?

Wir hatten die Situation bereits frühzeitig im Blick, als im Januar 2020 die ersten Einzelfälle in Deutschland bekannt geworden waren. Kurz nachdem die ersten Infektionen mit dem Coronavirus in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bestätigt wurden und ein Krisenstab eingerichtet worden war, fand am 27. Februar 2020 – also bereits rund vier Wochen vor den bundesweiten Kontaktbeschränkungen - die erste große Konferenz der Arbeitsgruppe des Landesvereins statt, welche sich mit Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus beschäftigte. Ein neues Virus war im Land – noch weit von Rickling entfernt und noch mit unterschiedlicher Benennung, aber doch schon als „Pandemie“ erkannt. Wir mussten uns dieser Herausforderung stellen – doch zuerst mussten wir uns grundlegend aufstellen.

Auf welche unerwarteten Herausforderungen stießen Sie in dieser frühen Phase der Reaktion?

Bereits frühzeitig hatten wir mit einem Phänomen zu tun, welches erst einige Monate später auch bundesweit für Schlagzeilen sorgte: Der erste positiv getestete Mitarbeiter war ein Reiserückkehrer. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir jedoch bereits die nötigen Strukturen aufgebaut, also vor allem den Hygienestab und das Hygienekonzept.

Welche Maßnahmen haben Sie zusätzlich ergriffen?

Die lange Liste der Maßnahmen, die ich an dieser Stelle nur stichwortartig benennen möchte, macht deutlich, wie umfassend sich der Landesverein in kurzer Zeit vorbereitet hatte – an manche Begriffe mussten wir uns erst gewöhnen: Absonderung, PCR-Testung, Abstandsregeln, Tragen eines Mund- und-Nasen-Schutzes, enge Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern, tägliche Lagebesprechungen, Handlungspläne, Pandemieplan, Wachdienst, Kinderbetreuung, Zugangsscreening, Quarantäne-Station, Monitoring, Prüfung der Ressourcen.

Welche besonderen Voraussetzungen hatte der Landesverein bei der Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation?

Die breite Aufstellung des Landesvereins erwies sich insbesondere in Krisenzeiten als Vorteil. Ein Beispiel: Wir brauchen Masken, denn sie schützen – und es gibt keine. Wir haben aber die Werkstätten. Also wurden kurzerhand Stoffmasken genäht. Vieles musste getan werden (nach dem Motto: Was schützt und was sichert uns?) und wurde auch schon getan, oft noch, bevor die entsprechenden Erlasse und Verfügungen kamen: Es wurden Entscheidungsträger benannt und Kommunikationswege definiert sowie digitalisiert, Netze ausgebaut, die Bedürfnisse der Geschäftsbereiche und Einrichtungen erfasst und differenzierte Maßnahmen in die Wege geleitet.

Auf welche Hürden stießen Sie bei Ihren Vorbereitungen?

Problematisch war für uns, dass jeder Kreis seine eigenen Allgemeinverfügungen hatte, die man umsetzen musste – bis ins kleinste Detail, sodass Zugangsbeschränkungen für unsere Einrichtungen, Aufnahmebegrenzungen oder gar ein Aufnahmestopp, die Absage oder Umgestaltung von Veranstaltungen nötig wurden. Es wurden Verfahrensregeln, Dienstanweisungen und Infobriefe geschrieben – alles neben dem regulären Betrieb.

Wie schätzen Sie die Reaktion des Landesvereins in der bisherigen Rückschau ein?

Der Corona-Risikostab, die Kleine und Große Taskforce sowie der Hygienestab hatten schnell Hygienekonzepte und Handlungsanweisungen aufgestellt und über die Geschäftsbereichsleiter zu den Einrichtungsleitungen und Einrichtungen zur Umsetzung gebracht. Schnell waren die Entscheider und die Mitarbeiter professionell unterwegs, um den Weg zwischen zwei großen Zielen zu ebnen: Wie können wir uns vor dem Viruseintrag schützen? Und wie können wir trotzdem unserem Versorgungsauftrag nachkommen? Wir hatten eine glückliche Hand bei unserem Tun. Wir waren und sind gut aufgestellt und wir haben alle viel gelernt. Das können wir auch jetzt für die kommenden Wintermonate gut gebrauchen.

Wie beschreiben Sie die derzeitige Situation im November 2020?

Die Fallzahlen steigen, die Sieben-Tage-Inzidenzzahlen der Kreise und Städte um uns herum steigen ebenfalls. Auch unsere Fallzahlen steigen, glücklicherweise in einem sehr überschaubaren Rahmen. Wir hatten glücklicherweise nur wenige und sehr vereinzelte positive Testergebnisse. Alle Fälle wurden rechtzeitig mit dem Screening und dem Monitoring erkannt und konnten daher gut in ihrer Wirkung auf die Einrichtungen begrenzt werden – nicht zuletzt dank effektiver Hygienekonzepte. Und glücklicherweise hatte kein Mensch in der Folgezeit eine schwerwiegende Covid-Erkrankung. Das Konzept der Beratung der Mitarbeiter durch den Hygienestab, sieben Tage pro Woche und 24 Stunden am Tag, das Konzept des offenen Ohrs für die Menschen und damit für das Geschehen, ist aufgegangen.

Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus? Welchen Herausforderungen muss sich der Landesverein in den kommenden Wochen stellen?

Die kommenden Wochen werden viel Arbeit bringen. Das Geschehen kann durchaus nicht gekannte Ausmaße annehmen und uns bis an unsere Grenzen fordern. Im Herbst bot sich ein Bild, welches bereits längerfristig absehbar war: Die gemeldeten Fälle pro Tag lagen mehrfach in Folge über 11.000 und haben im November die Marke von 20.000 Neuinfektionen überschritten, die Sieben-Tage-Inzidenzzahlen in den Kreisen unseres Versorgungsgebietes bewegten sich zunehmend Richtung 50 und wohl auch darüber hinaus. Die Zulassung der ersten Impfstoffe in Deutschland wurde für Ende November angekündigt, allerdings handelt es sich hierbei wohl um eine allzu optimistische Prognose. Kurzum: Es ist ein Wettlauf. Wir haben dafür bewährte Konzepte und eine erfahrene und hoch motivierte Mitarbeiterschaft. Unser Ziel ist nach wie vor, den Eintrag von Coronaviren in unsere Einrichtungen zu verhindern und dabei unseren Versorgungsauftrag für die uns anvertrauten Menschen mit möglichst wenigen Einschränkungen zu erfüllen.
 
Eine besondere Herausforderung wird in den kommenden Monaten und ganz besonders in der Vorweihnachtszeit der Umgang mit Besuchen für die Menschen in unseren Einrichtungen sein – und damit die Balance zwischen Schutz vor Eintrag und der hohen Bedeutung der Besuche für die Menschen. Sehr hilfreich wird bei der Abwägung für oder gegen Besuchsmöglichkeiten der Einsatz von Antigenschnelltesten sein, mit denen wir zeitnah und gut vor Ort die Möglichkeit eines Viruseintrags durch einen Besucher erkennen können. Genauso wichtig ist der Schnelltest für uns, damit wir entscheiden können, ob eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bei dem auf uns zukommenden Personalmangel trotz bestehender Atemwegssymptome eingesetzt werden kann. Und nicht zuletzt bewahren wir uns die in höchstem Maße wichtige Fähigkeit, bei einem festgestellten Corona-Fall sehr schnell die Lage klären zu können.

Wie lautet Ihr ganz persönliches Fazit nach diesem außergewöhnlichen Jahr 2020?

Wir werden auch in diesen schwieriger werdenden Zeiten im Vertrauen auf unsere Fähigkeiten und unser Personal unaufgeregt und mit guten Mitteln unseren Weg finden und auch gehen. Der Weg durch die letzten neun Monate der SARS-CoV-2 Pandemie hat uns gelehrt, was zu tun ist, wie wir den Risiken begegnen können und wie wir unserer Arbeit umsichtig und mit Augenmaß nachgehen können. Wir gehen weiter mit guter Hoffnung an die Arbeit und auch mit der Gewissheit unserer jetzt gewonnenen und erprobten Erfahrung. Wir können etwas tun. Und wir werden weiterhin unseren Weg suchen, wie wir die uns Anvertrauten schützen und dabei doch möglichst weitgehend unseren Versorgungsauftrag erfüllen können. Wir haben erprobte Konzepte, die wir der Lage entsprechend nachsteuern werden. Und wir können uns dabei auf das Engagement und das Können unserer Mitarbeiterschaft verlassen.