Ein Landesverein ohne Veränderung wäre denkbar, aber das wäre nicht unser Landesverein

(21.05.2022) Strategie, Leitbild, neue gesetzliche Regelungen, Veränderungen in der Gesellschaft und der Welt – da kann Mensch schon mal den Überblick verlieren. Wo steht der Landesverein heute, was kommt, was bleibt? Wir haben mit Pastor Andreas Kalkowski gesprochen.

Wie fällt Ihre theologische Sicht auf Veränderung aus? 

Für Christenmenschen ist die Taufe ein ständiger Anlass, über sich selbst und das eigene Handeln nachzudenken. Was soll ich tun? Was soll ich lassen? Wie gehe ich mit Fehlern um? Der Hintergrund ist die bedingungslose Annahme, die Liebe Gottes zu allen Menschen. Wie setze ich das in meinem Leben um? Das ist ein Leben in Veränderung. 

Welche Themen lagen Ihnen besonders am Herzen, als Sie Ihre Leitungsaufgabe im Landesverein übernommen haben? 

Erst einmal hatte ich tatsächlich keine konkreten Vorstellungen. Doch durch meine früheren Tätigkeiten als Pastor in einer Gemeinde und als Leiter eines Bildungszentrums für nachhaltige Entwicklung brachte ich Erfahrungen im Umgang mit Menschen und im Bereich Nachhaltigkeit mit. Zusammen mit dem, was ich in den ersten Jahren im Landesverein kennenlernen durfte, sind dann Gestaltungsideen gereift.

Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die größten Bereiche und Themen, in denen Veränderung im Landesverein geschieht?

Die Corona-Pandemie hat eine neue Organisation notwendig gemacht. Alle Kolleg*innen haben in ihrer Arbeit und ihrem weiteren Leben eine neue, bisher nie da gewesene Verbindlichkeit gelernt. Vielleicht ist dadurch unser Blick auf das Wesentliche geschärft worden. Ich wünsche mir, dass wir daraus für unsere Arbeit dauerhaft etwas Gutes lernen. Damit in Verbindung stehen die Bereiche „Kommunikation“ und „Digitalisierung“. Die Teilnehmenden am Betriebsbarometer haben zu hundert Prozent digital abgestimmt. Unsere Aus-, Fort- und Weiterbildungen werden wir einfach und verständlich für alle Berufsgruppen digital ausbauen. Wir werden zusammen lernen, wie neue Techniken und Hilfsmittel die Arbeit für Menschen mit Menschen unterstützen.

Was möchten Sie im Landesverein bei aller Veränderung bewahren?

Seit der Gründung haben wir immer nach Möglichkeiten gesucht, Menschen in einer Notsituation beizustehen. Seit 1875 hat es der Landesverein geschafft, das jeweils Notwendige zu tun: in Zeiten großer Arbeitslosigkeit, in Zeiten von Inflation, in Zeiten von Kriegen. So sind wir geworden, was wir sind – einer der großen Träger diakonischer Arbeit in Norddeutschland und ganz besonders vielfältig in unseren Angeboten, die alle aufeinander abgestimmt werden. Der Landesverein steht wirtschaftlich gut da, die Nachfrage nach unseren Angeboten ist auf hohem Niveau. Zudem ist der Landesverein offenbar auch weiterhin als Arbeitgeber attraktiv. Es gäbe also reichlich Anlass für ein „Weiter so!“.

Wäre ein Landesverein ohne Veränderung für Sie denkbar – und wenn nein: Warum nicht?

Ja, ein Landesverein ohne Veränderung wäre denkbar. Aber das wäre nicht unser Landesverein, den es schon viele Jahrzehnte gibt. Und es wäre auch nicht mein Landesverein. Denn so würden wir über kurz oder lang den Bezug zu den Menschen verlieren, deren Lebensumstände sich stetig verändern. Wir würden den Bezug zu den Menschen verlieren, die sich uns anvertrauen, und zu denen, die bei uns arbeiten. Und: Wir wären kein diakonischer Träger mehr als tätiger Teil der Kirche, die sich auch gerade stark verändert. Weiter so soll es aber gehen: mit zugewandter Arbeit für Menschen mit Menschen, mit innovativen Projekten für ein soziales Miteinander und gesundheitliches Wohlergehen, mit der Verlässlichkeit als Arbeitgeber und wirtschaftlicher Partner und mit der Kenntlichkeit unserer christlichen Motivation. Die Entwicklung des Landesvereins zu einem modernen Komplexträger, der im Wettbewerb mit öffentlichen und privaten Institutionen steht, besorgt manche Mitarbeiter*innen.

Warum ist es wichtig, sich als modernes Gesundheitsunternehmen zu positionieren?

Weil wir es immer schon waren: Mit der ersten Suchthilfeeinrichtung „Salem“ in Schleswig-Holstein, eröffnet im Jahr 1887, waren wir in Rickling der erste Träger in diesem Bereich. Heute betreiben wir das größte Psychiatrische Krankenhaus in Schleswig-Holstein, mit dem größten vernetzten Komplexangebot für Menschen in den Bereichen Suchthilfe, psychiatrischer Hilfe, Teilhabe und Pflege. Das ist über viele Jahrzehnte gewachsen. Wir entwickeln es weiter. Auch die dafür notwendige Organisation bilden wir weiter aus.

Woher kommen Ihrer Einschätzung nach die Impulse für Veränderung im Landesverein?

In den 111 Einrichtungen des Landesvereins sprechen die Teams über eine gute Struktur ihrer Arbeit. Mitarbeitendenvertretungen schlagen Verbesserungen vor. Werkstatträte, Bewohnendenbeiräte, Schwerbehindertenbeauftragte – viele Menschen weisen auf notwendige Entwicklungen hin. Wir bekommen immer wieder Anfragen und Vorschläge von gesellschaftlich engagierten Menschen. Es ist Aufgabe von uns als Leitung, alles zu prüfen und Notwendiges und Hilfreiches umzusetzen. 

Auf welche weiteren Entwicklungen und Trends müssen wir uns in den kommenden Jahren einstellen? 

Auch wenn die Corona-Pandemie noch nicht überstanden ist und uns der Krieg in Europa große Sorgen macht: Die Weiterentwicklung unserer Arbeit sehe ich nicht von zunehmender Not getrieben. Es sind viele Möglichkeiten, die wir weiterentwickeln werden. So werden wir bessere Wege finden, Menschen mit psychischer Erkrankung oder Suchterkrankung zu helfen. Im Bereich Pflege stehen wir erst am Anfang einer neuen Qualität an Unterstützung von Bedürftigen und eines Arbeitsrahmens für Pflegekräfte, der angemessen und wohltuend ist. Teilhabe soll nicht nur für Menschen als Dienstleistung ermöglicht werden, sondern ein Kennzeichen unserer Gesellschaft werden. Und damit werden wir im Landesverein beginnen. 

Was können wir im Landesverein künftig noch besser machen, um Veränderung gelingen zu lassen? 

Beteiligung in der Anbahnung von Veränderungen ist notwendig. Die Corona- Pandemie lehrt uns konsequentes Handeln. Immer wieder darauf zu achten, wie sich Veränderungen auswirken. Nachsteuern. Und nicht zuletzt davon ausgehen, dass Veränderungen nie fertig sind, sondern ein lebensbegleitender Prozess sind. 

Die Diskussion um Veränderung im Landesverein wird leidenschaftlich geführt, gelegentlich stehen auch Organe wie der Vorstand im Fokus. Wie gehen Sie ganz persönlich mit Kritik an Veränderung um? 

Für mich ist Kritik ein notwendiger Teil des Veränderungsprozesses. Kritik ist die Beurteilung einer Handlung anhand von Maßstäben. Welcher Maßstab wird angesetzt? Wenn ich den Maßstab kenne, kann ich bemessen, ob die Kritik „angemessen“ ist. Wenn ich mich in der Findungszeit mit Kritik auseinandersetze, dann gewinnt der Plan. Und manchmal wird er auch eingestellt, wenn die Kritik überzeugt. Gut so! Und nach der Umsetzung von Veränderungen leistet Kritik einen wichtigen Dienst für Weiterentwicklung. Allerdings ist es notwendig, eingeschlagene Wege auch konsequent zu gehen und voranzukommen. Es ist niemand geholfen, wenn wir über den kritischen Diskurs nicht hinauskommen. 

Wie kann jede*r Einzelne im Landesverein einen Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Dienstgemeinschaft leisten? 

Jede*r Mitarbeiter*in kennt den eigenen Arbeitsbereich sehr gut. Was funktioniert, was blockiert? Wir wollen dieses Wissen als einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in unserem Qualitätsmanagement etablieren. Das haben wir gerade beschlossen und wir werden es zum wesentlichen Teil unserer Betriebskultur machen. 

Was war in Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn die größte Veränderung und was haben Sie daraus mitgenommen? 

Ich habe Menschen begleitet, die neue Lebensabschnitte begannen oder ihr Leben beendeten. Dadurch habe ich die Vielfalt des Lebens erfahren. Ich habe meine Arbeit als Pastor in einem Bauwagen begonnen, habe dann ein Tagungshaus geleitet und nun den Landesverein. Das hat mich gelehrt, wie unterschiedlich Aufgabenfelder sein können und dass ich immer weiter lernen werde. 

Lassen Sie uns abschließend einen ganz konkreten Blick in die Zukunft werfen: Wie sieht Ihre Idealvorstellung des Landesvereins im Jahr 2030 aus? 

Menschen, die mit Freude zur Arbeit kommen. Erfahrene und neue Kolleg*innen arbeiten zusammen an den großen Aufgaben, die sich uns stellen. Wir lachen zusammen. Alles, was wir tun, macht einen Sinn. Wir sind auch füreinander da, wenn es jemand mal schwer hat. Menschen vertrauen uns in schweren Lebenslagen und wir finden Mittel und Wege, um ihnen beizustehen. Dafür bekommen wir die Kraft von Gott, der uns alle liebt. Und wir haben einen guten Umgang mit der Corona-Erkrankung gefunden. Und der Krieg in der Ukraine ist schon lange vorbei.