Corona und Mediennutzung – gemeinsam an der Situation lernen!

(22.6.2021) NDR-Beitrag über die Arbeit der Fachstelle für Mediennutzung und Medienabhängigkeit im ATS Suchthilfezentrum Segeberg

Am 22. Juni 2021 hat der NDR um 18.45 Uhr bei „DAS“ einen Beitrag des Mediensuchtexperten Bert te Wildt gesendet, in dem es um die Entwicklung von problematischem Medienkonsum ging, und dafür auch mit Judith Schaum von der Fachstelle für Mediennutzung und Medienabhängigkeit des ATS Suchthilfezentrums Segeberg gesprochen. Die Suchttherapeutin gab Auskunft über ihre Erfahrungen während des Zeitraums der Corona-Pandemie. 

Wir haben Judith Schaum ebenfalls befragt, mit welchen Problemlagen Ratsuchende in die Beratungsstellen kommen, wann es angezeigt ist, sich professionelle Hilfe zu suchen, und was man Eltern raten kann, die sich um den Medienkonsum ihrer Kinder sorgen. Das ATS Suchthilfezentrum Segeberg bietet Beratung, Behandlung und vermittelt bei Bedarf in weiterführende Hilfen. Der NDR-Beitrag ist in der NDR-Mediathek unter dem Stichwort „DAS“ mit dem Datum 22.6.2021 abrufbar.

 

Frau Schaum, die Pandemie begleitet uns jetzt seit über 15 Monaten. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ratsuchenden gemacht? Wie hat sich die Medienabhängigkeit in der Corona-Pandemie entwickelt?

Zu Beginn der Pandemie haben wir einen Rückgang der Anfragen festgestellt. Wir vermuten, dass das eine Art Corona-Schock dokumentiert: Die Menschen waren von den ungewohnten Anforderungen durch Corona so gefangengenommen, dass sie sich anderen Themen kaum widmen konnten. Jetzt, Mitte Juni 2021, sind wir zwar immer noch mitten im Prozess, können aber erkennen, dass die Anfragen besorgter Eltern schon auf dem Stand von Ende 2020 sind – das Problembewusstsein nimmt also zu. 

Auch die Anfragen erwachsener Betroffener nehmen zu. Junge Erwachsene kommen oft in Begleitung ihrer Eltern, die sich um sie sorgen. Wir beraten dann die Betroffenen und ihre Begleitung getrennt voneinander, entwickeln Lösungen und gleichen anschließend in einem gemeinsamen Gespräch die Situation ab.

Welche Medien erleben Sie für wen als problematisch? Trifft das Klischee vom Gamer als jungem Mann ohne Bindungen noch zu?

Gamer sind tatsächlich eher Männer und Jungen als Frauen und Mädchen. Sieben bis acht männliche Spieler kommen auf zwei bis drei weibliche. Frauen und Mädchen finden eher Gefallen an sozialer Interaktion und Kommunikation, sie posten gern Bilder. Aber die Mischung wird ausgeglichener: Immer mehr Frauen spielen in problematischem Umfang Online-Spiele und immer mehr Männer verlieren sich in digitalen Kontakten in den sozialen Medien.

Wann ist es denn angezeigt, sich in einer Beratungsstelle, etwa in den ATS Suchthilfezentren, Hilfe zu suchen?

Wir raten dazu, sich lieber früher als später an uns zu wenden. Das gilt für erwachsene Betroffene, aber auch Eltern, die sich um ihre für Kinder Sorgen machen. Häufig gehören zu Erziehungskonflikten ja auch Streit über Computer- und Handynutzungszeiten dazu – dann ist es gut, wenn Eltern frühzeitig kommen und sich mit uns beraten. Wir können helfen, den Konsum einzuschätzen. Für uns ist es ganz wichtig klarzumachen, dass die Nutzung digitaler Medien qualitative Unterschiede besitzt: Absprachen mit Freunden und Freundinnen oder gemeinsam online einen Film zu schneiden hat einen höheren Wert, weil hier Kreativität genutzt wird und gemeinsam etwas entwickelt wird – beim reinen Konsum von YouTube-Videos oder stundenlangem Gaming bleibt das bisweilen auf der Strecke.

Betroffene sollten sich Hilfe suchen, wenn das Suchtmittel, das Spielen oder das Handy, einen so großen Raum einnimmt, dass sie ihren Alltag nicht mehr schaffen können. Wenn Schule oder Arbeit unwichtig werden, wenn alle Gedanken nur noch um Spielen oder Handy kreisen, wenn Unruhe und Gereiztheit bei Verzicht auf die digitalen Medien auftreten.

Welche Therapien gibt es, wenn Sie im gemeinsamen Gespräch erkennen, dass Ratsuchende von digitalen Medien abhängig sind? 

Für erwachsene Betroffene und junge Erwachsene bieten die Beratungsstellen wie die ATS Suchthilfezentren ambulante Gesprächstherapien an. 

Kommen wir mit Hilfesuchenden in unserer Beratung zu dem Ergebnis, dass ambulante Maßnahmen nicht reichen, kann ein Krankenhausaufenthalt angezeigt sein. Es gibt verschiedene Fachkliniken, in die wir dann vermitteln. Für junge Erwachsene gibt es zum Beispiel die Behandlung im Psychiatrischen Krankenhaus Rickling auf der U21, die speziell auf junge Betroffene zwischen 16 und 21 ausgerichtet ist. Oft versteckt sich hinter einer Medienabhängigkeit eine Depression oder eine andere psychiatrische Erkrankung, die gut behandelbar ist.

Bei Kindern reicht es oft schon, miteinander ins Gespräch zu kommen. Für Eltern, die sich informieren möchten, haben wir Online-Elternabende entwickelt, an denen auch die ATS Suchthilfezentren beteiligt sind. Am 15. Juli geht es um „Smartphone und Kind“, am 5. August um „Egoshooter“. Interessierte können sich jetzt schon bei uns melden, wir setzen sie gern auf unsere Liste und schicken dann den Link für die Videokonferenz.

Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?

Sie sollten Interesse zeigen und immer wieder das Gespräch suchen. Fragen Sie nach, was Ihr Kind am Rechner oder am Handy treibt, lassen Sie sich die Spiele zeigen. Nur dann können Eltern richtig reagieren.

Sind Familienregeln sinnvoll?

Als grobe Orientierung sind sie gut, aber strikte Zeitbeschränkungen, ohne darauf einzugehen, was die Kinder und Jugendlichen eigentlich online machen, halte ich für falsch, solche starren Regelungen sind oft nicht lebensnah. Ich rate allen Eltern, digitale kreative Beschäftigung und soziales Miteinander anders zu bewerten als stupide Egoshooter-Spiele.

Was gibt es noch zu bedenken? Was wünschen Sie sich für den Umgang mit digitalen Medien?

Ich wünsche mir, dass Eltern den Mut zeigen, Position zu beziehen und sich mit ihren Kindern über digitale Medien zu streiten. Ich wünsche mir außerdem, dass wir alle gemeinsam unsere Haltung zu den neuen Medien betrachten und an ihnen lernen – das gilt für Erwachsene wie für Kinder und Jugendliche. Das ist meiner Meinung nach ein großes Gesellschaftsprojekt, denn Digitalisierung ist allumfassend. Wenn wir uns nicht gemeinsam an dieser Aufgabe entwickeln, werden wir uns verlaufen.

Aktuelle Studien zur Mediennutzung

Jim-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (mpfs)

Link

DAK-Studie: Gaming, Social-Media & Corona

Link

Online-Elternabende

 

15. Juli 2021 - ab 19.30 Uhr
Smartphone und Kind

5. August 2021 - ab 19.30 Uhr
Egoshooter

Sie können sich bereits jetzt für die Elternabende anmelden über das ATS Suchthilfezentrum Segeberg
Tel. 04551 84358
E-Mail sucht.se@ats-sh.de

Die Teilnahme ist kostenfrei.