Mobil in Falkenhorst: wie Erhan Günay den Führerschein machte und sich damit einen Herzenswunsch erfüllte

(08.11.2021) Erhan Günay lebt seit 2007 im Bereich Wohnen & Fördern. Im vergangenen Sommer hat er den Führerschein erworben und damit viel persönliche Freiheit gewonnen – er ist jetzt mobil. Für die Unterstützung, die er auf dem langen Weg zum Führerschein von den Mitarbeitenden der Einrichtung für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen bekommen hat, ist er dankbar.

„Dass ich jetzt wieder einen Führerschein habe, kommt mir manchmal selbst wie ein Wunder vor“, sinniert Erhan Günay, „dass ich das geschafft habe… Ich bin glücklich, zufrieden und dankbar.“ Autofahren konnte Erhan Günay schon ewig, das hatte er bereits in der Türkei gelernt, später hatte er in Deutschland seinen Führerschein gemacht. Aber der Weg, das Dokument wiederzuerlangen, das er aufgrund seiner Erkrankung vor Jahren an das Kraftfahrzeug-Bundesamt zurückgesandt hatte, war dann sehr lang. Erhan Günay lebt seit 2007 in Rickling auf dem Falkenhorst in einer Wohngruppe des Wohnens & Förderns. Hier fühlt er sich wohl, denn die ländliche Umgebung schenkt ihm Ruhe, die klaren Strukturen geben ihm Sicherheit – „und die Menschen lächeln hier“, ergänzt er. Der Falkenhorst ist sein Zuhause, hier hat Erhan Günay Freunde und Freundinnen gefunden. Die Mitarbeitenden unterstützen ihn bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten und ermuntern ihn, seine Ziele in den Blick zu nehmen und dabei durchzuhalten.

Der komplizierte Weg zur Führerscheinprüfung

„Im Jahr 2020 habe ich endlich den Mut gefunden, den Antrag auf eine MPU zu stellen“, sagt er, der seine Fahrerlaubnis in einer akuten Phase von Schizophrenie zerrissen und an die Behörde geschickt hatte. Damit war die psychiatrische Erkrankung von Erhan Günay beim Kraftfahrzeug-Bundesamt aktenkundig geworden und die Behörde forderte eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) mit positiver Einschätzung der Verkehrstauglichkeit, um Erhan auch nur für eine erneute Führerscheinprüfung zuzulassen. „Das war ganz schön kompliziert und langwierig“, berichtet er, „ich hatte zwar 2011 schon mit Dr. Schreiber, dem ärztlichen Leiter meiner Einrichtung, gesprochen und er hatte mir ein positives Attest ausgestellt. Aber wirklich getraut, einen Antrag zu stellen, dass ich meinen Führerschein wiederbekomme, habe ich mich lange Jahre nicht. Ich hatte Angst vor der MPU.“

Begleitet und immer wieder motiviert haben ihn auf seinem Weg zu mehr Selbstvertrauen und planvollem Angehen seines großen Vorhabens die Mitarbeitenden von Wohnbereich F4, wie etwa Heike Rawe. Die Sozialpädagogin stand ihm zur Seite bei allen Fragen zu Anträgen, sodass sich Erhan Günay Anfang 2020 so gefestigt fühlte, die lange Liste vom Amt abzuarbeiten. „Um zur Führerscheinprüfung zugelassen zu werden, musste Herr Günay beispielsweise alle Medikamente ausschleichen, die das Führen von Maschinen beeinträchtigen, und danach ein ärztliches Attest vorlegen“, erklärt sie. Der MPU bei der Dekra in Hamburg mit Reaktionstest und psychologischem Gespräch folgte eine „Fahrverhaltensbeobachtung mit Fahrtauglichkeitsprüfung“, wie es auf Amtsdeutsch heißt, die Erhan Günay im Dezember 2020 bestand. „Dafür habe ich extra noch einmal 13 Fahrstunden in Hamburg genommen“, fügt er hinzu. Zu allen Terminen bei Ämtern, Dekra und Fahrschule reiste der Fahrschüler aus Rickling mit öffentlichen Verkehrsmitteln an – der Aufwand war für Erhan Günay also erheblich. Heike Rawe und ihre Kolleg*innen waren beeindruckt von seiner Zielstrebigkeit und seinem Durchhaltevermögen, denn nun forderte auch noch die Verkehrsbehörde in Bad Segeberg, dass Erhan Günay die theoretische wie die praktische Fahrprüfung noch einmal ablegen müsse. Nach viel Üben der Theorie am Rechner und einigen weiteren Fahrstunden schaffte er dann im Sommer 2021 beide Prüfungen. Der hohe zeitliche, nervliche und auch finanzielle Einsatz hatte sich gelohnt – Erhan Günay hatte die Lizenz zum Fahren wiederbekommen.

Das große Glück: ein eigenes Auto!

Heute besitzt der „Fahr-Wiederanfänger“ ein eigenes kleines Auto, auf das er sehr stolz ist. Der Peugeot 206 parkt mit den Fahrzeugen der Mitarbeitenden vor der Einrichtung in Falkenhorst. Herr Günay hat ihn in Begleitung zweier Mitarbeiter seines Wohnbereichs Probe gefahren und schließlich gekauft; auch um die Versicherungen habe er sich selbstständig gekümmert, wie Heike Rawe erklärt, sie selbst habe lediglich die Angebote mit ihm durchgesprochen. Erhan Günay genießt es, nach der täglichen Arbeit in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zum Einkaufen nach Trappenkamp zu fahren, und berichtet davon, wie er bei einer solchen Einkaufsfahrten sogar Pannenhilfe leisten konnte, denn eine Bewohnerin des Wohnens hatte mit ihrem Fahrrad einen Platten – „die habe ich dann nach Hause gefahren.“ Der stolze Autofahrer träumt von Tagesausflügen, etwa nach Kiel, „um einen schönen Tag zu verbringen“, und blickt sogar weiter in die Zukunft: „Eines Tages werde ich so stabil sein, dass ich in eine eigene kleine Wohnung ziehen und vielleicht sogar eine Arbeit aufnehmen kann“, sagt er, „am liebsten eine, bei der ich Auto fahren kann.“

Ein Leben in immer größerer Selbstbestimmung

Heike Rawe lächelt, als sich das Gespräch dem Ende nähert. „Für Herrn Günay ist der Erwerb des Führerscheins ein großer und weiterer Schritt in Richtung Selbstständigkeit und stärkt sein Selbstwertgefühl. Seine Wünsche und Träume von einem selbstbestimmten Leben, eventuell in einer eigenen Wohnung, lassen ihn aufleben und mutig sein, die nächsten Schritte zu planen“, sagt die Sozialpädagogin. Sie und ihre Kolleg*innen werden Erhan Günay auf seinem Weg zu einem Leben in größtmöglicher Selbstbestimmung weiter unterstützen, ihm dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, etwa sich eine Tätigkeit zu suchen, die weder physisch noch psychisch zu anstrengend ist. Erhan Günay hat sich mit dem Führerschein einen Herzenswunsch erfüllt. „Für die Hilfe, die ich dabei erhalten habe, bin ich sehr dankbar“, sagt er abschließend.

Epp